Die Endodontologie gilt heute als wissenschaftlich anerkannte Therapie. Dabei steht sie im Spannungsfeld zwischen naturwissenschaftlich begründeter Medizin und der so genannten alternativen Medizin, die der endodontischen Behandlung eines Zahnes skeptisch gegenübersteht.
Während in der wissenschaftlichen Literatur von einer Erfolgsrate endodontischer Behandlungen über 90 Prozent berichtet wird, liegt der Erfolg in epidemiologischen Untersuchungen deutlich darunter (Hülsmann et al. 1991, Staedtler 1992).
In jüngster Zeit werden die hohen Erfolgsraten der wissenschaftlichen Publikationen in evidenzbasierten Studien (Meta-Analysen) überprüft und auf Werte zwischen 60 und 86 Prozent reduziert (Kojima et al. 2004, Spanberg 2005). Dabei wird offenkundig, dass es in der Zahnheilkunde nur wenige Studien mit hoher Aussagekraft gibt. Meist fehlt den Schlussfolgerungen die solide Grundlage. Unsere derzeitigen Therapiekonzepte beruhen somit eher auf einer durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützten Erfahrungsmedizin.
Daneben gibt es zahlreiche Fälle, in denen durch eine endodontische Behandlung die Erhaltung eines Zahnes ermöglicht wird, seine Prognose jedoch deutlich eingeschränkt ist. Ob das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen eine Behandlung rechtfertigt, hängt wiederum von den »Umständen« ab. Nur wenn ein ausreichendes Mindestmaß an Zeit zur Verfügung steht, kann eine korrekte Behandlung erwartet werden (Gutmann et al. 1991, Weine 1996). Deshalb sollen die Arbeitsbedingungen in einer »Kassenpraxis« und die Vorgaben des deutschen Versicherungssystems als ein wichtiger Einflussfaktor für Kompromisse und den daraus resultierenden Misserfolgen nicht unerwähnt bleiben.
Neben der »zahnbezogenen« Indikationsstellung (Erhaltungsfähigkeit) spielen in der täglichen Praxis weitere Faktoren eine Rolle, wie die »Erhaltungswürdigkeit« des Zahnes beispielsweise aus prothetischer Sicht und die Abwägung zwischen Aufwand und Nutzen für den Patienten (Patientenwunsch).
Der Patient ist nach Aufklärung nicht bereit, den erforderlichen
Behandlungsaufwand über sich ergehen zu lassen und zeigt keine ausreichende
Mitarbeit während der Behandlung (z. B. Nichteinhalten von Terminen) oder er
weist eine unzureichende Mundhygiene auf, so dass ein längerfristiger Erhalt des
betreffenden Zahnes trotz Erfolg versprechender endodontischer Behandlung nicht
erwartet werden kann (Aufklärung des Patienten!).
Deshalb ist es bei Patienten mit »sanierungsbedürftigem Zahnsystem« in der
ersten Behandlungsphase sinnvoll, mit zeitintensiven endodontischen
Behandlungsversuchen zurückhaltend zu sein und der Zahnentfernung den Vorzug zu
geben. Der Gebisszustand ist Ausdruck der bestehenden Compliance. Die
prothetische Planung hat hier erste Priorität, da sie die Wiederherstellung des
Kauorgans mit einem vertretbaren Aufwand ermöglicht. Sie kann die endodontische
Behandlung bei strategisch wichtigen Zähnen bedingen.
Es ist die erste Aufgabe des Behandlerteams, den Patienten zu einer
befriedigenden zahnärztlichen Behandlung zu motivieren. Hier eignet sich
besonders die Prophylaxe, die dem Patienten den »Wert der Zähne« bewusst werden
lässt und ihm gleichzeitig Mittel und Wege an die Hand gibt, diese längerfristig
zu erhalten.
Zeigt sich der Patient kooperativ, sollte dann auch das Therapiekonzept
angepasst werden und die Zahnerhaltung Vorrang vor einer praktikablen
prothetischen Lösung erhalten. Auch hier sind die finanziellen Möglichkeiten des
Patienten ein nicht zu unterschätzendes Entscheidungskriterium.
Unter medizinisch ethischen Aspekten besonders problematisch ist es, wenn der
Patient nicht bereit oder in der Lage ist, die erforderlichen finanziellen
Mittel für eine endodontische Behandlung aufzubringen. Hier spielen neben
medizinischen Faktoren auch zwischenmenschliche, vertragsrechtliche,
wirtschaftliche und juristische Gesichtspunkte in die Entscheidungsfindung eine
Rolle.
Es ist die erste Aufgabe des Behandlerteams, den Patienten zu einer
befriedigenden zahnärztlichen Behandlung zu motivieren. Hier eignet sich
besonders die Prophylaxe, die dem Patienten den »Wert der Zähne« bewusst werden
lässt und ihm gleichzeitig Mittel und Wege an die Hand gibt, diese längerfristig
zu erhalten.
Zeigt sich der Patient kooperativ, sollte dann auch das Therapiekonzept
angepasst werden und die Zahnerhaltung Vorrang vor einer praktikablen
prothetischen Lösung erhalten. Auch hier sind die finanziellen Möglichkeiten des
Patienten ein nicht zu unterschätzendes Entscheidungskriterium.
Unter medizinisch ethischen Aspekten besonders problematisch ist es, wenn der
Patient nicht bereit oder in der Lage ist, die erforderlichen finanziellen
Mittel für eine endodontische Behandlung aufzubringen. Hier spielen neben
medizinischen Faktoren auch zwischenmenschliche, vertragsrechtliche,
wirtschaftliche und juristische Gesichtspunkte in die Entscheidungsfindung eine
Rolle
Der Zustand des sanierungsbedürftigen Zahnsystems lässt auf eine geringe Compliance desPatienten schließen. Ursache können beispielsweise traumatische Erlebnisse bei zahnärztlichen Behandlungen sein oder geringes Interesse an der Gesunderhaltung der Zähne. Ein ausschließlich finanzieller Hintergrund für einen solchen Gebisszustand kann in unserem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem ausgeschlossen werden. Der Befund korreliert mit der psychischen Verfassung und den sozialen Umständen, unter denen unser Patient lebt und die ihn dazu führen, der Zahnpflege nicht die erste Präferenz einzuräumen. Dies geht mit einer eingeschränkten Compliance bei der Behandlung einher, die allerdings häufig mit entsprechender Zuwendung verbessert werden kann. Bei dem hier dargestellten Patienten ist die Therapie der ersten Wahl die Entfernung der stark geschädigten Zähne und die Anfertigung einer Modellgussprothese nach Füllungstherapie. Die Abwägung zwischen möglicher, aber zeitaufwändiger Zahnerhaltung und Zahnentfernung führt zu einer Kompromissentscheidung mit dem Ziel, die Funktion des stomatognathen Systems mit einem realistischen Aufwand wiederherzustellen.
Es ergibt keinen Sinn, zu Behandlungsbeginn einen endodontischen
Behandlungsversuch aufzunehmen, wenn klar wird, dass eine systematische
Behandlung aufgrund wiederkehrenden Ausbleibens des Patienten nicht möglich ist.
Die Behandlungszeit wird zur Vitalerhaltung (Füllungstherapie) und
Wiederherstellung der Funktion durch angemessenen Zahnersatz genutzt.
Es finden sich auch Patienten, bei denen trotz intensiver Aufklärung aufgrund
der subjektiven Beschwerdefreiheit die Bereitschaft fehlt, eine Therapie
einzuleiten, obwohl das endodontische Behandlungsergebnis klar als Misserfolg
gewertet werden muss (im Röntgenbefund eine Läsion nach endodontischer
Behandlung neu aufgetreten ist oder eine vorher existierende Läsion an Größe
zugenommen hat).
Die aus Patientensicht nicht zu unterschätzende Frage der Herdwirkung, die einerseits in der Entfernung eines aus endodontologischer Sicht erhaltungsfähigen Zahnes mündet, andererseits zu einem wenig aussichtsreichen Erhaltungsversuch führen kann, ist zu beachten.
Die Unwägbarkeiten im Rahmen der endodontischen Behandlung lassen breiten
Raum für die Problematik des Herdgeschehens. Einerseits ist es sinnvoll, einen
Zahn durch eine endodontische Behandlung zu erhalten und die Funktion des
Kausystems zu sichern beziehungsweise größere restaurative Maßnahmen zu
vermeiden, andererseits ist eine nicht auszuschließende Verbesserung einer
Allgemeinerkrankung durch Entfernung des betreffenden Zahnes erst ex juvantibus
feststellbar.
Mögliche Probleme, Erfolgsaussichten und Behandlungskosten benennen
Um Missverständnisse und spätere Auseinandersetzungen möglichst zu vermeiden, sollte der Patient vor Behandlungsbeginn ausführlich über den Behandlungsablauf, mögliche Probleme und die Erfolgsaussichten sowie die Behandlungskosten informiert werden.
Besonders wegen der kontrovers geführten Diskussion über die Fernwirkung endodontisch behandelter Zähne ist hier eine sorgfältige Aufklärung des Patienten sinnvoll. Leider stehen uns derzeit noch immer keine zuverlässigen Diagnoseverfahren zur Verfügung, die uns Aufschlüsse über eine mögliche »Herdwirkung« eines Zahnes geben.
Je aufwändiger die chemische Desinfektion des Wurzelkanalsystems betrieben wird, umso zuverlässiger können Mikroorganismen und nekrotisches Gewebe entfernt werden, umso höher sind jedoch auch die Kosten für die Behandlung (»Eine Behandlung braucht Zeit!«). Dies bedeutet, dass der Zahnarzt mit dem Patienten darüber eine entsprechende Übereinkunft treffen sollte, um seinem Patienten den aktuellen Therapiestandard auch anbieten zu können.
Besonders in Situationen, in denen das gewünschte Behandlungsziel langfristig nicht zuverlässig erreichbar erscheint, sollten wir unsere Patienten darüber in Kenntnis setzen, sie über Nutzen und Risiken informieren und mit ihnen das weitere Vorgehen beraten.
Aufgrund der Unsicherheiten bei der Überprüfbarkeit des Behandlungsergebnisses sollte eine endodontische Behandlung derzeit grundsätzlich als »Erhaltungsversuch mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit« angesehen werden. Die Erfolgsrate ist dabei von der angewendeten Behandlungsmethode abhängig und kann je nach Indikation zwischen 50 und 90 Prozent betragen. Das bedeutet, dass die Wahl der Behandlungsmethode und die Behandlung des Zahnes im Einvernehmen mit dem Patienten erfolgen, der über die bestehenden Risiken und potenziellen Nebenwirkungen informiert wurde.
Entspricht die durchgeführte Behandlung nicht dem technischen Anspruch, so sollte der Patient auch hierüber unbedingt aufgeklärt werden. Dies fällt umso leichter, wenn der Patient vor Behandlungsbeginn bereits über mögliche Erschwernisse und Risiken informiert wurde.
Die Entscheidung zur Erhaltung eines Zahnes mit einem endodontischen Behandlungskompromiss trifft der Patient eher, wenn keine Allgemeinerkrankungen oder »Herdgeschehen« berücksichtigt werden müssen und keine aufwändige prothetische Versorgung vorgesehen ist.
Die Grenzen des Kompromisses sind erreicht, wenn die Behandlung als Misserfolg gewertet werden muss (siehe Kapitel »Endodontischer Misserfolg« S. 26) (Qualitätsrichtlinien 1994, Staehle 1992).
Die Revision der Wurzelkanalbehandlung und die chirurgische Behandlung stellen dann den letzten Erhaltungsversuch dar. Bei Nichterhaltungsfähigkeit führt kein Weg an der Entfernung des Zahnes vorbei.
Grundsätzlich sollte eine Behandlung nur begonnen werden, wenn ein korrekter Ablauf gesichert ist. So ist etwa die Behandlung eines Molaren bei stark behinderter Mundöffnung bereits zu Behandlungsbeginn infrage gestellt, da der Zugang eingeschränkt ist. Sie endet häufig mit einem Kompromiss. Erst nach sorgfältiger Abwägung und korrekter Aufklärung sollte dem Patienten eine Behandlung »zugemutet« werden.
Diesem Umstand kommt bereits heute erhebliche Brisanz zu. Auf die Frage, »Wie viel ist ein Zahn wert?«, gibt das Versicherungssystem derzeit eine Antwort, bei der die korrekte endodontische Behandlung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr möglich ist.
Eine korrekte Wurzelkanalbehandlung benötigt ein Mindestmaß an Zeit. Die heute aktuellen Behandlungsmethoden sind wesentlich zeitaufwendiger, als jene Konzepte, die Grundlage für die Berechnung der Honorare im Bema und der privaten Gebührenordnung waren. So dauert etwa die chemische Reinigung des Wurzelkanalsystems besonders lange, denn die Einwirkzeit des Desinfektionsmittels ist entscheidend für die Wirksamkeit. Dies wurde in der Vergangenheit und auch bei der Neugestaltung der Gebührenordnungen bewusst nicht berücksichtigt. Die chemisch physikalische Reinigung des Kanalsystems wurde zum Beispiel aus der Gebührenordnung der GKV gestrichen und medikamentöse Einlagen auf drei Sitzungen beschränkt.
Der renommierte Medizinrechtler Tim Oehler spricht in seinem Fachbuch ausdrücklich von "Undercover-Rationierung durch den Gesetzgeber"
. Sie zwingt den gesetzlich Versicherten letzlich dazu, seine Wurzelkanalbehandlung selbst zu finanzieren. Der Zahnarzt wird gezwungen, seinen Patienten über die grundsätzliche Erhaltungswürdigkeit des erkrankten Zahnes ausführlich zu informieren. Aber die gesetzliche Krankenkasse zahlt nicht, eine Extraktion - sogar auf Wunsch des Patienten - ist aber vom Gesetzgebr ebenso verboten (gängige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes).
Die Gesellschaft, vertreten durch Politik und Funktionäre, erwartet entweder unter dem Mantel der ethischen Verantwortung vom Leistungsanbieter Zahnarzt trotz der wirtschaftlichen Zwänge eines Selbstständigen, eine suboptimale Behandlung oder die korrekte Behandlung pro bono durchzuführen, oder sie erachtet die endodontische Erhaltung eines Zahnes nicht generell als solidarisch finanzierbar, so dass der Zahnarzt die Behandlung direkt mit dem Patienten vereinbaren muss.
Aus sozialen Gesichtspunkten ist die aufwendige und nicht kostendeckende Behandlung in Einzelfällen eine Selbstverständlichkeit, wird dies jedoch von Funktionären und Politik verallgemeinert und zur »Kostensenkung« im System verwendet, sollte sich jeder Behandler überlegen, welchen Weg er geht!
Die Behandlung von Molaren zulasten der GKV wurde stark eingeschränkt und darf nur zur Vermeidung einer einseitigen Freiendsituation, zur Erhaltung einer geschlossenen Zahnreihe oder zum Erhalt eines vorhandenen Zahnersatzes erfolgen. Zudem muss von vornherein der Erfolg gesichert sein. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Umstände, die den Erfolg der Behandlung infrage stellen können, wie beispielsweise apikale Parodontitiden, gekrümmte oder obliterierte Kanäle, eine Privatbehandlung bedingen.
Der Zahnarzt steht im Spannungsfeld zwischen möglicher Erhaltung des Zahnes und dessen Entfernung. Ist der Patient nicht bereit oder in der Lage, die Kosten selbst aufzubringen, so bleibt als Alternative nur die Entfernung des Zahnes. Häufig entscheiden sich Patienten in diesem Fall gegen eine endodontische Behandlung und für ein Implantat. Das Implantat ist ihnen »mehr wert!«.
Daneben weigern sich Patienten unter Umständen trotz intensiver Aufklärung, eine indizierte endodontische Behandlung durchführen zu lassen (z. B. Revision bei zu erneuernder Restauration), da der betreffende Zahn keinerlei Beschwerden macht.
Die Implantologie ist heute eine Standardtherapie mit hoher Erfolgssicherheit
und eine Therapiealternative zum Erhaltungsversuch eines Zahnes durch eine
endodontische Behandlung.
Die Wurzelkanalbehandlung sollte die Erhaltung des Zahnes über zehn Jahre hinaus
ermöglichen, um mit einem Implantat »konkurrieren« zu können. Kann dies nicht
gewährleistet werden oder ist der damit verbundene medizinische oder
wirtschaftliche Aufwand im Einzelfall zu hoch, so muss die Zahnentfernung und
die Eingliederung eines enossalen Implantates erwogen werden. Diese Entscheidung
ist rechtzeitig zu treffen, da der Erhalt des alveolären Knochens den Aufwand
und die Erfolgssicherheit der Implantation beeinflusst. Endochirurgische
Maßnahmen sollten deshalb unter dem Aspekt zusätzlicher Knochendefekte für ein
potenzielles Implantatlager beurteilt werden.