Die Extraktion (lat. ex-trahere „herausziehen“) ist in der Zahnmedizin die Entfernung eines Zahnes, ohne dass ein größerer Schnitt erforderlich ist. Sie kann normalerweise von jedem Zahnarzt vorgenommen werden. Wie jeder chirurgische Eingriff in den Körper des Menschen zu diagnostischen und/oder therapeutischen Zwecken ist sie ein operativer Eingriff. Auch die Injektion des Lokalanästhetikums ist im engeren Sinne bereits eine Operation, weil die Schleimhaut verletzt wird.
Ist ein größerer Schnitt und die Bildung eines Schleimhaut-Periost-Lappens erforderlich, so fällt das unter den Begriff Operative Zahnentfernung (Osteotomie im zahnmedizinischen Fachjargon: „Aufklappung“)
Man unterscheidet zwischen absoluten und relativen Indikationen.
Bei Extraktionen im Oberkiefer wird zumeist eine Infiltrationsanästhesie (Umspritzung des Zahns mit einem Lokalanästhetikum) durchgeführt. Der Einstich erfolgt in der Umschlagfalte im Mundvorhof in Höhe der Wurzelspitze. Das Anästhetikum diffundiert durch den Knochen, der vestibulär nur etwa 1-3 mm dick ist. Die Wirkung der Anästhesie setzt meist schon nach einer Minute ein und erreicht nach 20 Minuten ihr Maximum. Praktisch kann der Zahn nach 3 Minuten extrahiert werden. Zusätzlich wird die Mundschleimhaut am Gaumen durch einen zweiten Einstich anästhesiert. Für den Seitenzahnbereich (Zähne 4 bis 8) erfolgt dieser palatinale Einstich in Höhe des oberen ersten Molaren, ca. 1 cm vom Zahnhals entfernt. Für die Frontzähne (Zähne 13 bis 23) erfolgt der palatinale Einstich dicht neben der Inzisalpapille (Papilla incisiva) und nicht direkt in sie, da sie sehr schmerzempfindlich ist. Der palatinale Einstich kann auch direkt im Gaumenbereich des zu extrahierenden Zahnes erfolgen.
Bei Extraktionen im Unterkiefer wird normalerweise eine Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior am Foramen mandibulae gesetzt. Dabei ist durch Aspiration (Ansaugen der Gewebsflüssigkeit) darauf zu achten, dass nicht direkt in die Arteria alveolaris inferior injiziert wird. Indem auch in etwa 10 mm Abstand vom Knochen ein kleines Depot des Anästhetikums gesetzt wird, wird auch der Nervus lingualis anästhesiert. Zur Anästhesie des Nervus buccalis wird in der Umschlagfalte des Mundvorhofes (also vestibulär) im Bereich des zu extrahierenden Zahnes eine kleine Menge Anästhetikum injiziert.
Eine Leitungsanästhesie hält normalerweise ca. 2 bis 3 Stunden an, kann aber auch wesentlich länger oder kürzer andauern.
Eine weitere Möglichkeit der Anästhesie ist die Intraligamentäre Anästhesie, die sowohl für Unterkiefer- als auch Oberkieferzähne geeignet ist - mit Einschränkungen für den Unterkiefer-Seitenzahnbereich. „Intraligamentär“ heißt: in die Bänder des Zahnhalteapparates, die Sharpey-Fasern. Hierbei wird das Anästhetikum mit einer besonders dünnen (0,3 mm) und spitzen Kanüle in den Parodontalspalt injiziert. Weil dazu sehr hoher Druck erforderlich ist, muss eine Spezialspritze eingesetzt werden (z.B.: Citoject-Spritze oder Soft-Ject-Spritze). Je Zahnwurzel ist mindestens ein Einstich erforderlich. Die Anästhesielösung durchdringt den Zahnhalteapparat einschließlich der knöchernen Alveole bis zur Wurzelspitze des Zahnes und betäubt dort die in die Pulpa eintretenden Nervenfasern. Bei einer intraligamentären Anästhesie wird insgesamt weniger Anästhetikum je Zahn verabreicht, was besonders bei Risikopatienten (Herz, Kreislauf) von Vorteil ist. Durch geschicktes, langsames Vorgehen des Behandlers sind die Schmerzen für den Patienten geringer als bei anderen Anästhesien.
Im Gegensatz zu den oben geschilderten örtlichen (lokalen) Anästhesietechnik wird mit einer Vollnarkose auch das Bewußtsein ausgeschaltet: Sie "verschlafen" in gewisser Weise den Eingriff. Vollnarkosen sind bei Angstpatienten und bei sehr umfangreichen chirurgischen Behandlungen segensreich. Da Narkoserisiko ist bei sonst Gesunden mit den Risiken der Lokalanästhesie vergleichbar. Bei Patienten, die schwere, ärztlich anerkannte Angstreaktionen zeigen und deshalb nicht unter örtlicher Betäubung behandelt werden können zahnlen auch die gesetzlichen Krankenkassen. Private Krankenkassen übernehmen die Kosten bei medizinischer Indikation praktisch immer. Wenn Sie unsicher sind, ob eine Vollnarkose für Sie in Frage kommt, können Sie sich auch per Videosprechstunde persönlich beraten lassen.
Wie bei jedem operativen Eingriff müssen die eingesetzten Instrumente steril sein. Zur Extraktion werden für die verschiedenen Aufgaben und Zahngruppen unterschiedlich geformte Zangen verwendet. Innerhalb dieser Gruppen gibt es noch sehr unterschiedliche Spezialausführungen.
Auch für die Extraktion von Milchzähnen gibt es Spezialzangen.
Zur Durchtrennung der Fasern des Zahnhalteapparates und zur Lockerung der Zähne werden Extraktionshebel (z. B. Beinscher Hebel oder Wurzelheber) verwendet.
Der Ausdruck „einen Zahn ziehen“ ist zwar allgemein gebräuchlich, beschreibt jedoch nur sehr unzulänglich die eigentliche Technik der Extraktion. Vielmehr kommt es darauf an, das Zahnfach (Alveole) mit gefühlvollen, geeigneten Hebel- und Kippbewegungen (Luxationsbewegungen) aufzuweiten und zu „erspüren“, wohin der Zahn am ehesten nachgibt. Dabei muss durch Abstützung des Knochen mit der freien Hand eine Zersplitterung der Alveolenwände vermieden werden. Durch bloßes Ziehen wäre es in den allermeisten Fällen unmöglich, einen Zahn zu entfernen, insbesondere nicht bei den (oberen) Molaren, deren Wurzeln oft stark divergieren. Nach der Extraktion werden die Alveolenwände manuell wieder zusammengedrückt.
Eine normale Begleiterscheinung jeder Extraktion ist eine Blutung aus den verletzten Gefäßen der Gingiva, des Zahnhalteapparates und im Knochen. Normalerweise reicht postoperativ die Einlage eines sterilen Tupfers als Druckverband für ca 30 min aus. Das entstehende Blutgerinnsel (Koagulum) ist der ideale Wundverband. Um die offene Wundfläche zu verringern, können chirurgische Nähte vorgenommen werden. Das sollte bei der Extraktion mehrerer Zähne in einer Sitzung (Reihenextraktion) routinemäßig erfolgen. Bei der Extraktion mehrerer Zähne oder absehbar großflächiger Extraktionswunde kann auch die Eingliederung einer Verbandplatte sinnvoll sein. Erforderlichenfalls kann ein Schmerzmedikament verordnet werden. Das Schmerzmittel soll keine Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin) enthalten, da diese die Blutgerinnung negativ beeinflusst.
selten:
sehr selten:
Die Eröffnung der Kieferhöhle bei einer Extraktion ist kein Behandlungsfehler. Wichtig ist nur, dass die Eröffnung der Kieferhöhle vom Zahnarzt erkannt wird. Dazu empfiehlt sich die routinemäßige Durchführung des Nasen-Blas-Versuches (Valsalva-Pressdruck-Versuch) nach der Extraktion von oberen Zähnen. Zuverlässiger ist jedoch, die Alveolen mit einer Knopfsonde auszutasten. Eine in die Kieferhöhle luxierte Wurzel muss entfernt werden - erforderlichenfalls Weiterbehandlung durch einen HNO-Arzt.
Eine Perforation der Kieferhöhle (Mund-Antrum-Verbindung = Mund-Kieferhöhlen-Verbindung) kann von einem chirurgisch versierten Zahnarzt, einem Oralchirurgen oder einem Kieferchirurgen mit einem vestibulär gestielten Dehnungslappen gedeckt werden (Plastische Deckung). Dazu wird das Periost an der Lappenbasis von der Innenseite des Lappens her durchtrennt, so dass sich der Mukosalappen ausreichend dehnen (mobilisieren) lässt. Der anschließende Nahtverschluss muss sehr sorgfältig erfolgen.
Soweit möglich sollte der Patient heftiges Schnäuzen und Niesen in den ersten Tagen nach der Operation vermeiden, da durch den Druck der Verschluss der Kieferhöhle wieder aufreißen kann.
Bei entzündeten Kieferhöhlen (z. B. durch die infizierte Wurzelspitze) versagt die primäre Deckung mit einer Lappentechnik oft, da sich das ausströmende Sekret (von der Nasenhöhle über die Alveole in die Mundhöhle) auch bei gutem Wundverschluss eine Verbindung bahnt. In diesem Fall ist vor der plastischen Deckung die Ausheilung der Entzündung in der Kieferhöhle anzustreben. Gegebenenfalls wird dazu die Kieferhöhle über die eröffnete Alveole gespült. Von Fall zu Fall sollte die Unterstützung eines Hals-Nasen-Ohrenarztes in Anspruch genommen werden. Erst nach dem Abklingen der Entzündung kann eine plastische Deckung erfolgen.
Bei komplizierten Zahnentfernungen sind grundsätzlich alle Zahnteile zu sammeln, um sicher zu gehen, dass keine Zahnteile verschluckt oder aspiriert wurden.
Ein Verschlucken von Zähnen oder Zahnteilen ist nur mit geringen Gefahren behaftet.
Eine gefährliche Komplikation hingegen ist eine Aspiration von Zähnen oder Zahnteilen. Es muss unbedingt und schnell eine Weiterbehandlung bei einem Facharzt (HNO-Arzt) erfolgen.
Umgekehrt kann eine Sinusitis durch geschädigte Zähne verursacht werden. Die fachgerechte Zahnbehandlung - im Extremfall dann auch die Extraktion kann dann die meist einseitige Sinusitis der Kieferhöhle zur vollständigen Abheilung bringen.
Im allgemeinen kontrolliert der Behandler am folgenden Tag die Wunde.
Soweit die Wunde vernäht wurde, müssen nach einigen Tagen die Nähte entfernt werden - bei einer Plastischen Deckung frühestens nach 10 Tagen.
Bei einer alveolitis sicca ist eine Wundrevision durch Kürretage und anschließendener mehrfacher Tamponade das Mittel der Wahl (Sekundäre Wundheilung).
Die Wunde schließt sich normalerweise im Laufe der ersten Wochen nach der Behandlung. (Primäre Wundheilung)
In der ersten Zeit nach der Operation ist das richtige Verhalten für eine gute Wundheilung und die Minderung der unvermeidbaren Folgeerscheinungen wichtig.
Für die Dauer der Anästhesie ist das Führen von Fahrzeugen und die Bedienung von Maschinen nicht erlaubt.
In den ersten 24 Stunden sollte die Wunde gekühlt werden. Dies bewirkt eine geringere Schwellung. Hierzu können Coolpacks oder nasse Waschlappen bzw. Eis verwendet werden. Auch das Lutschen von Eiswürfeln verringert die Temperatur im Mundraum, und die Wunde wird zusätzlich auch von innen gekühlt.
Einige Zahnärzte und Apotheker empfehlen zum schnelleren Abschwellen der Wundregion zusätzlich die Einnahme von Arnika-Präparaten.
Soweit keine Allergie gegen Kamille besteht, kann zur Unterstützung der Wundheilung und Desinfektion der Wunde nach dem Essen mit Kamille gespült werden.
Milchprodukte sind zu vermeiden, da die darin enthaltenen Milchsäurebakterien den sich bildenden Blutpfropf angreifen würden. Der Genuss von Koffein (Kaffee, Schwarztee, Energydrinks), Nikotin oder Alkohol ist einzuschränken, weil diese die Blutungsneigung fördern. Auch Vollkornprodukte und Speisen, die krümelige Bestandteile haben, können problematisch sein, da die Krümel in die Wunde geraten und zur Entzündung führen können.
Ebenfalls ist darauf zu achten, dass nach jeder Nahrungsaufnahme die Zähne und auch der Wundbereich vorsichtig mit einer kleinen, weichen Zahnbürste (Kinderzahnbürste) geputzt werden. Alternativ kann zur Mundhygiene eine Mundspülung verordnet werden, was besonders in den ersten Tagen angenehmer sein kann. Durch „Verschmutzung“ der Wunde kann es sonst zu einer Entzündung kommen, welche die Wundheilung stört.
Sprunghaft ansteigender Blutdruck kann ebenfalls problematisch sein. Deshalb ist Zurückhaltung bei sportlichen Anstrengungen geboten.